Sepp Brülisauer
Wenn die Dämmerung einbricht und Sepp Brülisauer (45) von Haslen das Hirtenhemd, den wolligen Umhang sowie den Filzhut anzieht, sein «Ledertäschli» umhängt, die Laterne in eine, und die Hellebarde in die andere Hand nimmt, dann ist er unterwegs zu einer Nachtwächterführung im Dorf Appenzell. Dort lauschen die Gäste aus nah und fern seinen Anekdoten über den Dorfbrand und anderen geschichtsträchtigen Geschehnissen im Dorfkern. Auf seinem Rundgang bringt er den Leuten die Appenzeller Chronik näher - dabei spricht er am liebsten in seinem waschechten Innerrhoder Dialekt. «Ich musste auch schon auf Hochdeutsch umstellen, aber es ist nicht so einfach, unsere Dialektbegriffe sinngetreu zu übersetzten», gesteht er. Da die Führungen erst nach Sonnenuntergang starten, erhalten die Erzählungen eine mystische Komponente. Es dürfe aber auch lustig sein, «ich erzähle nicht nur von der Kirche und vom Glauben», sagt er schmunzelnd. Diese nächtlichen Führungen machen ihm offensichtlich Spass: «Ich treffe immer wieder neue Leute, jede Gruppe ist anders und die Stimmung immer besonders. Obwohl die Führungen stets gleich ablaufen, hat es Platz für spontane Bemerkungen oder individuelle Fragen», erklärt Brülisauer, der schon seit mehr als zehn Jahren als Nachtwächter unterwegs ist. Er ist nicht der einzige Nachtwächter, zusammen mit seinem Kollegen führen sie pro Jahr insgesamt 90 Gruppen durch die dunklen Gassen von Appenzell. Und wie kam er zu dieser ehrenvollen Aufgabe? «Ich bin Mitglied der Theatergesellschaft Appenzell und darum haben mich die Tourismusverantwortlichen wohl angefragt», sagt er. Eigentlich stehe er als Person nicht gerne im Mittelpunkt, doch wenn er in eine Rolle schlüpfen könne, präsentiere er sich gerne auf der Bühne oder eben im Nachtwächter-Kostüm umgeben von der Appenzeller Dorfkulisse.
Im Dienst der Bevölkerung
Brülisauer hat seine Kindheit und Schulzeit in Haslen verbracht. Danach absolvierte er eine Metzgerlehre in der Metzgerei Fuchs in Appenzell. Später hat er den elterlichen Landwirtschaftsbetrieb übernommen, den er bis heute mit Freude führt. «Hierzulande spielt die bäuerliche Kultur nach wie vor eine sehr bedeutende Rolle und entsprechend werden Traditionen sorgsam gelebt und gepflegt», sagt der Landwirt. Das ist ihm sehr wichtig und deshalb sind die damit verbundenen Feierlichkeiten fest in seinem Jahreskalender verankert. Er fühlt sich seiner Heimat stark verbunden und auch zu Dankbarkeit verpflichtet. So stellt er sich schon seit bald 20 Jahren in den Dienst der Feuerwehr Schlatt-Haslen. Nun verabschiedet er sich jedoch bald von dieser Szene: Der Vizekommandant übergibt seinen Posten Ende 2025 an einen jüngeren Feuerwehrkollegen. Für ihn sei die Feuerwehr eine sinnvolle und abwechslungsreiche Freizeitbeschäftigung und er engagiere sich gerne für den Schutz der Bevölkerung. Wer weiss, vielleicht wartet schon bald eine neue Bühne auf den Rollenkünstler?
Autorin und Fotografin: Katja Hongler, Steinegg
Erschienen am 11.06.2024 im Appenzeller Volksfreund auf der Wirtschaftsseite